Die Klavierstimmerei Praeludio® wurde gerufen, ein altes Klavier zu stimmen. Gerne, antwortete ich am Telefon, und wir vereinbarten einen Termin.
Praeludio® kam, zerlegte das Klavier, testete, ob die Stimmnägel noch halten, und stimmte das Klavier. Das liest sich beinahe schon langweilig. Regelrecht dramatisch wird die Geschichte erst durch meine Kollegen, die sich bereits telefonisch als Serviceverweigerer entpuppten. Es sollen 3 Klavierstimmer gewesen sein, die schon bei der Ankündigung, dass es sich um ein altes Klavier handelt, abgewunken haben. Keiner hat sich das Klavier z.B. am Telefon vorspielen lassen - dann hätte ich die Verweigerung ja noch verstanden. Nein, man verweigert sich einfach pauschal.
Was für ein Dilemma für eine junge Frau, deren Traum es ist, ein eigenes Klavier zu haben, um das Klavier spielen zu lernen. Tatsächlich ist ihr so ein Klavier begegnet, das heißt, es hat sich eine günstige Gelegenheit ergeben, und sie hat sich spontan in das schöne alte Piano verliebt. Das Piano steht bereits bei ihr zu Hause. Und nun ist sie auf der Suche nach einem Klavierstimmer, der bereit ist, sich um die gute Stimmung zu bemühen.
In der Zukunft wird die persönlich erbrachte Dienstleistung der wichtigste Faktor sein, um lokal und regional gegen das übermächtige Internet und die damit verbundenen totale Digitalisierung bestehen zu können. Doch bevor derartige Scheindienstleister ihre Chance erkennen, kommen die Internet-Giganten und zeigen den lokalen Geschäften, wie man lokal und global richtig kombiniert. Zum Beispiel beginnt Amazon gerade in USA zusätzlich zum bereits uneinholbar gut aufgestellten Onlineangebot lokale Buchläden zu gründen, um dort das lokale und digitale Geschäft völlig neu zu kombinieren. So werden Internet-Verweigerer nicht etwa einfach links liegen gelassen, sondern man eröffnet dieser Klientel die neuen Möglichkeiten durch den Zugang zum Internet über das lokale Geschäft.
Klavierspieler wie Klavierlehrer werden sich komplett neu orientieren müssen. Die Stars der Pianisten werden in Zukunft aus China kommen. Die Klavierhersteller sind einzig an dem chinesischen Wachstumsmarkt mit einem noch offenen Potenzial von 30 Millionen Klavierspielern interessiert. Der Klavierservice hierzulande hat kein Interesse mehr, sich um die - aus deren Sicht - übrig gebliebenen alten Kisten zu kümmern. Aber neue Instrumente werden in Europa aufgrund der Marktsättigung zu wenig verkauft, vor allem nicht von Serviceverweigerern, sondern von immer weniger Anbietern mit großen lokalen Geschäften sowie einer starken Internet-Präsenz. Die Kollegen im Service müssten sich also vollständig auf den Klavierservice konzentrieren. In diesem Fall können sie es sich nicht leisten, die alten Klaviere links liegen zu lassen. Da sie das aber tun, muss man davon ausgehen, dass der Klavierservice aussterben wird.
Verpasst haben diese scheinbar allwissenden Fachleute ein ganz besonderes Klavier. Denn der Klavierbauer Joseph Ramsperger (Stuttgart) hat mit diesem Modell ein bemerkenswerte Konstruktion erstellt. Dieses Klavier hat 3 Stege. Der Bass-Steg ist in 2 Stege aufgeteilt. Der einchörige Bass ist in einer dritten Ebene noch schräger als der zweichörige Bass angelegt. Das sind Instrumente aus einer Zeit, als es noch Klavierbauer gab, die nicht einfach den Mainstream kopiert haben, sondern sich um die Optimierung des Ergebnisses mit dem Mut zu eigenen Wegen bemüht und diese Wege fantasievoll beschritten haben.
Sie können sich vorstellen, wie froh und glücklich die Besitzerin war, als ich sie über die außergewöhnlichen Konstruktionsmerkmale ihres Klaviers informierte. Dieses Klavier lohnt sich später einmal überholt zu werden, um mit neuen Saiten und einigen kleineren Verbesserungen ein wirklich tolles Piano erleben zu können. Das heute bereits über 111 Jahre alte Instrument wird noch eine lange Zeit voller Wohlklang vor sich haben.
Zum Seitenanfang Zu den Hörbeispielen